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Sozialgericht Nürnberg: Geflüchtete aus der Ukraine haben Anspruch auf Eingliederungshilfe

In einem Eilbeschluss hat das Sozialgericht Nürnberg die Bezirksregierung von Mittelfranken verpflichtet, einem ukrainischen Jungen mit Trisomie 21 Eingliederungshilfe zu gewähren. Diese Entscheidung kann wegweisend für die Rechte von Geflüchteten mit Behinderungen sein.

Eine Behörde in Mittelfranken hat einem ukrainischen Junge mit Trisomie 21 den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte als Leistung der Eingliederungshilfe nicht gewähren wollen. Als Begründung wurde § 100 Abs. 1 SGB IX genannt, nachdem für nicht-deutsche Staatsangehörige in bestimmten Fällen kein Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht, sondern nur im Einzelfall nach Ermessen. Eine Entscheidung nach Ermessen gilt dann, wenn die betroffene Person einen befristeten Aufenthaltstitel besitzt und es laut der Behörde nicht absehbar ist, ob sie sich „voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten wird“ (§ 100 Abs. 1 S. 2 SGB IX).

Der Junge hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG., die ihm gemäß der EU-Richtlinie 2001/55/EG (Massenzustrom-Richtlinie) vorrübergehenden Schutz gewährt. Diese Aufenthaltserlaubnis wird zunächst für zwei Jahre erteilt und kann verlängert werden.

Laut der Behörde ist mit § 24 AufenthG nicht von einem dauerhaften Aufenthalt auszugehen, da der Krieg in der Ukraine „noch nicht so lange“ dauerte und dementsprechend eine Rückkehr in die Ukraine, wo es eine gute medizinische Versorgung gibt, möglich wäre. Deswegen sei die Eingliederungshilfe „zwar geeignet, den Antragsteller zu fördern und zu integrieren, sie sei aber nicht angemessen. Auch sei sie nicht erforderlich.

Das Sozialgericht Nürnberg hat sich in einem Eilverfahren klar dagegen positioniert. Mit einer Aufenthaltserlaubnis von zwei Jahren die zudem verlängerbar sei, hat der Junge durchaus die Perspektive, dauerhaft in Deutschland zu sein. Speziell verkündet das Sozialgericht, dass die Argumentation der Behörden, dass die „kurze Dauer der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine und der dort vorhandene hohe medizinische Standard gegen einen dauerhaften Aufenthalt des Antragstellers sprechen, geht völlig fehlt. Für das Gericht ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, weshalb der über ein Jahr anhaltende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit Hunderttausenden von Toten, Verletzten und Vertriebenen und massiver Zerstörung ziviler Infrastruktur nach Auffassung der Widerspruchsbehörde einen Konflikt darstellen soll, der wegen seiner kurzen Dauer der Prognose eines dauerhaften Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet entgegensteht.“

Das Gericht führt außerdem das Informationsschreiben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Anwendung des § 100 Abs. 1 SGB IC bei geflüchteten Menschen mit Behinderung aus der Ukraine vom 29.04.2022 an, „wonach allgemein davon ausgegangen wird, dass ukrainische Geflüchtete länger, unter Umständen dauerhaft in Deutschland bleiben werden.“ Auch die Einzelfallbetrachtung des Jungen und seiner Familie lassen darauf schließen, dass sie dauerhaft in Deutschland bleiben wollen.

Der Beschluss vom SG Nürnberg vom 9 März 2023, S 5 SO 25/23 ER ist hier nachzulesen.  

Hier sind weitere Informationen bezüglich Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung ohne deutsche Staatsangehörigkeit: