Wir haben es geschafft! – Acht Menschen – acht Geschichten

Wege in den Arbeitsmarkt sind so divers wie die Menschen, die diese Wege gehen. Besonders für Geflüchtete gibt es zahlreiche Hürden und Herausforderungen, wenn sie in Deutschland Ausbildung und Arbeit suchen. Das Beratungsnetzwerk von Alle an Bord! gewährt einen Einblick. Acht Menschen und ihre Geschichten portraitiert von dem jungen Fotografen Nemo Schreier in unserer virtuellen Fotoausstellung.

zum Instagramprofil des Fotografen Nemo Schreier


Gohar Grigoryan, Auszubildende in einer Pflegeeinrichtung

Frau Grigoryan fährt auf der Erfolgsspur! Die junge, energiegeladene, sehr fröhliche Frau und Mutter eines Sohnes machte in ihrer Heimat Armenien Abitur und absolvierte ein Pharmazie-Studium. Sie folgte ihrem Mann nach Deutschland und arbeitet bereits nach kurzer Eingewöhnungszeit an ihrer neuen Perspektive. Integrationskurse, Sprachkurse, alles, was weiterbrachte, wurde mit hohem Engagement besucht und bestanden. Den Führerschein hakte Frau Grigoryan nebenbei ab.

Um ihre berufliche Zukunft voranzutreiben wandte sich Frau Grigoriyan an das Projekt Alle an Bord! und bekam dort unter anderem Unterstützung bei den nötigen Schritten, um ihre Schulzeugnisse anerkennen zu lassen – Beglaubigungen, Beantragung der Übersetzungskosten bei der Agentur für Arbeit, Einreichen der Formulare beim Bildungsministerium.  Nach erfolgter Anerkennung  bewarb sie sich erfolgreich in einer Pflegeeinrichtung und durchläuft seitdem  mit viel Energie  ihre Ausbildung. Anfangs nahm sie nebenher am online-Sprachtraining teil. Das schafft sie im Moment nicht mehr und ist vielleicht auch nicht mehr nötig: Die Zwischenprüfung liegt bereits hinter ihr: Note 1

Sämtliche Herausforderungen  meistert Gohar Grigoryan mit einer herausragenden Kompetenz. Obwohl sie viele Hürden nehmen musste und auch ihre Integration im Arbeitsumfeld anfänglich schwierig war, hat sich Frau Grigoryan nicht vom Weg abbringen lassen und ihren Optimismus bewahrt. Immer das Beste draus machen, sagt sie. „Und darauf bin ich stolz!“


Ziawolhaq Katakhel, Auszubildender im Hofladen der Domäne Fredeburg

Herr Katakhel kam 2016 im Alter von 16 Jahren aus seiner Heimat Afghanistan nach Deutschland. Dort war er 9 Jahre lang zur Schule gegangen. In Deutschland angekommen, war alles fremd! Nachdem er jedoch die ersten sprachlichen Hürden überwunden hatte, besuchte er wieder die Schule und schloss diese mit dem ESA (Erster allgemeinbildender Schulabschluss) ab, mit dem er in den Bewerbungslauf startete.

Unzählige Dinge waren zu erledigen, zu planen und zu berücksichtigen, ungewohnte Regeln und Formalitäten zu wahren – eine enorme Herausforderung für einen so jungen Menschen!  Mit etwas Unterstützung bewarb er sich schließlich erfolgreich bei der Domäne Fredeburg. Der charmante Hofbetrieb mit imposantem Hofladen gibt Herrn Katakhel die Chance, sich beruflich weiter zu entwickeln und sich vielseitig zu bilden. Hier zählen nicht nur wirtschaftliches Geschick, sondern auch ein Verständnis für agrarwirtschaftliche Zusammenhänge sowie Dienstleistungsorientierung. Ein gutes Sprungbrett! Auf der Domäne Fredeburg ist man sehr zufrieden mit seiner Arbeit und freut sich, dass er nun nach erfolgreicher Einstiegsqualifizierung seine Ausbildung zum Verkäufer begonnen hat. Und das ist nicht alles: Inzwischen hat er sogar eine Aufenthaltserlaubnis. Jetzt geht es richtig los!

Ziawolhaq, worauf sind Sie besonders stolz? “Auf meinen Fleiß und auf meinen Schulabschluss.“

Unterstützung erhielt und erhält Ziawolhaq bei den vielen erforderlichen Schritten seit Anfang 2019 auch durch die Beraterinnen von Alle an Bord! bei der Handwerkskammer Lübeck, die mit ihm den Berufswunsch konkretisierten, in Praktika vermittelten und Hilfestellung bei Bewerbungen boten. Sie unterstützten auch bei der Aufenthaltssicherung, die für die berufliche Perspektive eine große Rolle spielt, die Konzentration aufs Lernen und Arbeiten ermöglicht und auch dem Betrieb die nötige Planungssicherheit bietet.  Nach Ausbildungsaufnahme begleiten die Beraterinnen Ziawolhaq und den sehr engagierten Betrieb weiterhin bei auftretenden Fragen.


Arbeiten und Deutsch lernen im Betrieb – Firma Wulff Med Tec geht mit gutem Beispiel voran

Tikin Rascho, Kadar Tahr, Amer Alkhalil, Jouma Issa stammen aus Syrien und arbeiten als Näher bei der Fa. Wulff Med in Fedderingen, Dithmarschen. Wulff Med Tec stellt Matratzen für den medizinischen Bedarf her und hat eine große Offenheit für Bewerber*innen mit Fluchthintergrund.  Der Betriebsleiter ist mit seinen Mitarbeitenden sehr zufrieden. Dennoch bleibt für ein reibungsloses Miteinander und auch für das Weiterkommen im Betrieb die Sprache ein wichtiges Thema.

Aufgrund des großen Interesses und Engagements der Firma konnte ein Sprachtraining von Alle an Bord! direkt im Betrieb angeboten werden. So kann Fachsprache, Kommunikation mit den Kolleg*innen, Verständnis von Sicherheitsbestimmungen etc. vor Ort und für die Praxis geübt werden. Eine Win Win-Situation für Mitarbeitende und Betrieb!


Amer Alkhalil begann in Syrien gleich nach der Hauptschule mit der Näherei. Der fleißige und geschäftstüchtige junge Mann gründete gemeinsam mit einem Partner eine eigene Näherei und Wäscherei – und später dann eine neue in der Türkei. Die Flucht ging weiter nach Deutschland. Sein Bruder, der einige Zeit vor ihm hergekommen war, half ihm beim Ankommen in Schleswig-Holstein.

Herr Alkhalil absolvierte Sprachkurse und bemühte sich allein und mit Unterstützung von Beratungsstellen um Arbeit. Bei der Firma Wulff Med Tec überzeugte er mit seinen Kompetenzen und wurde als Näher eingestellt.  Amer Alkhalils eigentlicher Wunsch, Friseur, Maler oder Busfahrer zu sein, liegt vorübergehend brach – das ist aber gar nicht schlimm, denn Herr Alkhalil und seine deutsche Frau wurden im August glückliche Eltern und haben alle Hände voll zu tun. Dass er immer weiter gemacht hat, macht Herrn Alkhalil besonders stolz! Er arbeitet nach wie vor fleißig und zuverlässig an seinem sicheren Arbeitsplatz und freut sich auf eine Zukunft mit seiner kleinen Familie. So wird die Sehnsucht nach seiner Familie in der Heimat erträglicher und ein Wiedersehen ist vielleicht auch eines Tages möglich – das wäre fantastisch!

Unterstützung fand er bei UTS e.V. im Projekt Alle an Bord!. Die Beraterin half ihm bei den Bewerbungsunterlagen und vermittelte ein Vorstellungsgespräch bei der Firma Wulff Med Tec. Trotz fehlender Urkunden stellte der Betrieb Herrn Alkhalil ein. Über die Begleitung von Amer Alkhalil entstand im Kontakt zu dem engagierten Betrieb auch die Idee, das arbeitsmarktbezogene Sprachtraining von Alle an Bord! vor Ort für ihn und weitere Mitarbeitende mit Fluchthintergrund zu installieren. Er nutzt das Sprachtraining im Betrieb, um sein Deutsch weiter zu verbessern.


Als Jouma Issa im Jahr 2015 nach Deutschland kam, hatte er seine Tochter bei sich – seine Frau und die jüngere Tochter blieben zunächst in Syrien. Herr Issa wünscht sich, dass seine Kinder in Deutschland aufwachsen können.

Nachdem die Familie zusammengeführt war, fand der Familienvater, der die meiste Zeit seines Lebens als Näher gearbeitet hatte, mehrere Nebenjobs, die teilweise an lange Fahrtzeiten geknüpft waren. Bei der Firma Wulff Med Tecarbeitet er nun seit fast einem Jahr in der Näherei und ist glücklich, einen so guten Arbeitsplatz gefunden zu haben und dabei noch sein Deutsch verbessern zu können.  Mit besonderem Stolz erfüllt ihn – sein deutscher Führerschein!

Da Herr Issa in Syrien nur 3 Jahre die Schule besucht hatte, bevor er im Heimatdorf helfen musste, stellten die Sprachkurse eine besondere Herausforderung dar. Im Umgang und im Arbeitskontext fiel ihm das Erlernen der deutschen Sprache deutlich leichter, daher ist für ihn Teilnahme an den Sprachtrainings im Betrieb eine große Chance.


Kadar Tahr erreichte Deutschland im Jahr 2014. Sein Heimatland ist Syrien. Dort besuchte er 6 Jahre lang die Grundschule, danach musste er seine Familie in der eigenen Näherei unterstützen.

Hier erlernte er die Grundlagen seines heutigen Könnens. Herr Tahr gründete eine Familie, die er wenige Jahre nach seinem Weggang aus Syrien zu sich holen konnte. Durch eine Maßnahme eröffnete sich für Herrn Tahr vor über einem Jahr die Möglichkeit, ein Praktikum bei Wulff Med Tec zu absolvieren. Und er verstand es, den Betrieb von seinen Fähigkeiten zu überzeugen.

Das Erlernen der deutschen Sprache fiel Herrn Tahr nicht leicht, aber seine Kolleg*innen in der Näherei der Firma Wulff MedTec und das Sprachtraining von Alle an Bord! helfen ihm dabei. Kadar Tahr ist stolz, diese Chance bekommen zu haben.


Tikin Rascho besuchte in Syrien die Hauptschule und arbeitete danach als Näher. Er erreichte Deutschland nach einer Zeit in der Türkei. Auch er war zunächst mit seiner kleinen Tochter auf sich gestellt. Seine Frau und seine beiden Söhne kamen einige Zeit später nach.

Herr Rascho arbeitete sehr viel auf Baustellen, fand aber letztlich ebenfalls eine Anstellung bei der Firma Wulff Med Tec, wo er in Vollzeit arbeitet. Bei all dem half ihm sehr sein Nachbar, ein älterer Herr, der maßgeblichen Anteil an Herrn Raschos Werdegang trägt und dem Herr Rascho heute zutiefst verbunden ist. Tikin Rascho machte ebenfalls den deutschen Führerschein. Tolle Sache! Aber was ihn besonders stolz macht, ist, dass seine Kinder hier lernen können!

Herr Rascho nimmt seit nunmehr einem Jahr an den Sprachtrainings von Alle an Bord! bei der Firma Wulff MedTec teil.


Avin Muslem

Die inzwischen dreifache Mutter verließ ihre syrische Heimat im Sommer 2015 gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Nach einem Werdegang und Tätigkeit als Lehrerin in ihrer Heimat wechselte sie hier auf die andere Seite der Schulbank und besuchte Integrations- und Sprachkurse bis C-Niveau.

Frau Muslem musste hinnehmen, dass ihr Studienabschluss in Deutschland zwar als Bachelor anerkannt wurde, nicht aber ihre über viele Jahre erworbene, hohe Qualifikation und Berufserfahrung.  Sie ließ sich trotzdem nicht entmutigen und konnte nach Überwindung zahlreicher Hürden im Herbst 2020 eine schulische Ausbildung zur Erzieherin beginnen. Sie verschafft sich mit der Ausbildung das Ticket zum Studium – um ihren Master zu machen und arbeitet zusätzlich als Sprachmittlerin. In der Zwischenzeit muss auch ihr Mann, der in der Heimat als hochdotierter Jurist tätig war, neu anfangen und absolviert eine betriebliche Ausbildung.

Avin Muslem hat aus eigenem Antrieb nicht nur einen bemerkenswerten Integrationsprozess hinter sich, sondern während dessen ein drittes Kind zur Welt gebracht. Die Kinder sollen in Deutschland aufwachsen – das ist der Wunsch der Eltern.  

Frau Muslem, worauf sind Sie besonders stolz?Darauf, dass ich als Mutter diese schwierige Sprache so gut gelernt habe. Eines Tages kann ich dann vielleicht wieder als Lehrerin arbeiten!

Frau Muslem wandte sich Ende 2019 an die Beratungsstelle von Alle an Bord! bei der IHK Flensburg und erhielt dort Unterstützung bei der Orientierung über mögliche Wege und zuständige Stellen und den bei den erforderlichen Schritten unterstützt, insbesondere aber auch bei der Suche nach Alternativen, wenn der jeweils eingeschlagene Weg an formalen Hürden zu scheitern drohte.


Wassim Swad kam vor 3 Jahren nach Deutschland. Seitdem ist viel passiert: Der Familienvater eines inzwischen 2 1/2-jährigen Sohnes konnte seiner bereits in Deutschland lebenden Frau folgen und besuchte gemeinsam mit ihr Integrations- und Sprachkurse.

Herr Swads ehrgeiziges Wesen sorgte für einen beeindruckenden Werdegang: In Syrien fand er nach dem Abitur eine Anstellung in einem kaufmännischen Betrieb und arbeitete sich kontinuierlich in eine Leitungsposition hoch. Während seiner anschließenden, mehrjährigen Anstellung im Finanzamt sammelte er zusätzlich betriebswirtschaftliches Know-How, mit dem er sich eine Selbständigkeit in der freien Wirtschaft zutraute – mit Erfolg. Zudem engagierte sich Wassim Swad in seiner Stadt aktiv in der Bürgerberatung. Nach seiner Flucht nach Deutschland fing er wieder bei Null an!

Das hieß zunächst: die Sprache zu lernen. Nach nur zweieinhalb Jahren hat Herr Swad den Integrationskurs und weitere Sprachkurse absolviert und Deutschkenntnisse auf B2 Niveau erreicht. Er liest viel – deutsche Bücher! -, hört Radio und sieht deutsche Nachrichten- und Fernsehsendungen. Er umgibt sich so viel er kann mit der deutschen Sprache und gebraucht sie nach so kurzer Zeit absolut souverän. Es beeindruckt und macht Freude zuzuhören.

Eigentlich eine sehr gute Voraussetzung für den Start in den Arbeitsmarkt. Täglich schrieb er Bewerbungen … und wurde nicht eingeladen. Eine Chance, eine Probezeit, eine Möglichkeit, seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen zu können hätte er sich gewünscht. Es kamen nur Absagen – diese jedoch motivierten ihn, weiter zu machen. Herr Swad gab nicht auf. Er wollte teilhaben, vorwärts gehen, sich weiterbilden – und dazu gehören.

Bei der Beratung im Jobcenter ist die Idee entstanden, noch einmal eine kaufmännische Ausbildung an der Berufsfachschule zu machen, um den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.  Das war keine leichte Entscheidung, denn das heißt, nochmal von vorne anzufangen, mit 32 der Älteste in der Klasse zu sein und vieles von dem Stoff schon zu kennen. „Mich schreckt das nicht ab, sagt Herr Swad, „vielleicht öffnen sich so eher die Türen bei den Unternehmer*innen und mit dem Abschluss der Berufsfachschule kann ich den Fachhochschul-Abschluss erreichen.“ Seit Anfang August befindet sich Herr Swad in einer schulischen Ausbildung zum Informatikkaufmann und sieht zuversichtlich in die Zukunft. Herr Swad, worauf sind Sie besonders stolz? – Auf alles! Darauf, dass ich nicht aufgegeben habe, sogar auf die Absagen, denn die waren meine Triebfeder.

Froh ist Herr Swad über die Unterstützung, die er von vielen Seiten erfahren hat. Im Rahmen einer Veranstaltung hat er die Beraterinnen von Alle an Bord! bei der IHK in Flensburg kennengelernt und nimmt das Beratungsangebot gerne in Anspruch. „Sie haben mir Mut gemacht und mir bei den Bewerbungen geholfen. Auch heute noch kann ich dort jederzeit Fragen und Probleme besprechen.“